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Kripo wegen eines Briefes: Mein Erfahrungsbericht

Ein 72-jähriger Rentner aus Heddesheim, Karlheinz Falkenstein, schrieb dem baden-württembergischen Finanzminister Danyal Bayaz (Grüne) einen Beschwerdebrief, weil er wegen einer verspäteten Steuererklärung 9,50 Euro Säumnisgebühr zahlen musste. Darin kritisierte er, dass „die Kleinen“ abkassiert würden, während große Steuerbetrugsfälle wie Cum-Ex ungestraft blieben.

Einige Monate später stand plötzlich die Kriminalpolizei vor seiner Tür. Grund war nicht der Brief selbst, sondern beigefügte Bilder, auf denen „Raubritter“ und „Wegelagerer“ dargestellt waren – von Falkenstein als symbolische Kritik an der Steuerpraxis gedacht. Aufgrund des sogenannten „Reichsbürger-Erlasses“, den Bayaz nach einem gewalttätigen Vorfall 2022 eingeführt hatte, löste dies einen Verdacht aus, der überprüft wurde.

Das Finanzministerium räumte später ein, dass die Weitergabe an die Polizei überzogen war, entschuldigte sich bei Falkenstein und kündigte an, künftig sensibler vorzugehen. Der Rentner betonte, dass er kein Staatsfeind sei – sein Onkel war sogar Polizeipräsident in Mannheim.

Der Fall zeigt, wie leicht kritische Bürger unter Generalverdacht geraten können, wenn Behörden aus Vorsicht überreagieren.

Freitag, 4. Juli 2025. Es klingelt an der Tür. Ich gehe zur Sprechanlage und melde mich wie üblich mit „Ja?“. Eine Stimme antwortet: „Kriminalpolizei, kommen Sie bitte mal runter.“
Aha, denke ich, das ist bestimmt wieder mein Neffe Daniel, der solche Späße liebt. Ich murmele: „So, so, die Kriminalpolizei …“ Da ertönt die Stimme erneut, dieses Mal energischer: „Kriminalpolizei, kommen Sie bitte mal runter!“

Ich drücke auf den Türöffner und mache mich nach unten auf den Weg. Was wollen die von mir? Das Einzige, was mir einfällt: Vielleicht ist in der Nachbarschaft etwas passiert, und man will mich als Zeugen befragen. Eigene Verfehlungen? Fallen mir beim besten Willen nicht ein.

Im Hof erwarten mich zwei Männer in Zivil, beide mindestens 1,90 Meter groß. Sie klappen ihre Ausweise auf und halten sie mir entgegen. Spontan frage ich: „Haben wir jetzt die Rosenheim Cops im Haus?“ Keine Reaktion. Mein Scherz kommt nicht an. Der Wortführer spricht mich stattdessen auf meinen Brief an den baden-württembergischen Finanzminister Dr. Danyal Bayaz an. Ich denke: Mein Gott, das ist doch schon zwei Monate her – was wollen die jetzt?

Der Beamte fragt, warum ich direkt an den Minister geschrieben hätte. Ich erkläre, dass ich das immer so mache: auch an Kanzler Scholz, Minister Habeck und Lindner habe ich schon geschrieben – und von allen Antworten bekommen, aber noch nie die Kripo ins Haus geschickt bekommen.
Ohne nachzudenken frage ich die beiden: „Und jetzt sollen Sie prüfen, ob ich ein Reichsbürger oder AfD-Wähler bin?“ Beide nicken. Ich muss laut lachen und weise das weit von mir. Am Ende raten sie mir, künftig etwas weiter unten in der Hierarchie anzufangen – und verabschieden sich.

 

Oben suche ich sofort den Brief an Minister Bayaz. Ich finde darin keinen einzigen Passus, der den Einsatz der Kripo rechtfertigen würde. Wollte man mich einschüchtern? Natürlich, denke ich, was sonst? Doch damit haben sie das Gegenteil erreicht. Sofort schreibe ich einen Brief an die lokale Presse: „Freie Meinungsäußerung – danach Besuch der Kripo.“

Danach informiere ich auch überregionale Medien: BILD, SPIEGEL, ZDF sowie verschiedene Bundestagsabgeordnete. Und ich schicke einen empörten Brief an die Kriminalpolizeidirektion Heidelberg, die für den Einsatz verantwortlich war.

Die lokale Presse reagiert sofort und berichtet. Kurz darauf meldet sich auch der Leiter Kommunikation beim Finanzministerium. Er entschuldigt sich für den völlig überzogenen Einsatz und informiert mich, dass das Finanzamt Weinheim dafür verantwortlich sei. Dieses habe sich durch meine dem Brief beigelegten Zeichnungen bedroht gefühlt. Ich bin sprachlos. Die Bilder sind harmlos – wie man darin eine Bedrohung sehen kann, bleibt mir ein Rätsel.

Kurz darauf bittet mich das Finanzamt Weinheim zu einem Telefonat. Der Amtsleiter, sein Stellvertreter und ein leitender Mitarbeiter nehmen teil. Das Gespräch verläuft harmonisch. Der Amtsleiter betont seine Fürsorgepflicht für Mitarbeiter: „Wenn etwas passiert und ich habe vorher nichts getan, bin ich verantwortlich.“ Deshalb habe er die Kripo eingeschaltet. Ich zeige Verständnis, versichere aber erneut, dass meine Zeichnungen satirisch gemeint waren. Überschrift: „Raubritter, Strauchdiebe und Wegelagerer.“ Jeder normale Steuerzahler dürfte diese Begriffe verstehen – nur das Amt wohl nicht.

Mittlerweile berichten auch überregionale und sogar internationale Medien. Ich hätte nie gedacht, dass ein einfacher Brief solch eine Lawine lostritt. Der Kripo rufe ich zu: „Wer Wind sät, wird Sturm ernten.“

Einschätzung von Free Speech Aid

Der geschilderte Vorfall zeigt exemplarisch, wie brüchig das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung in Deutschland inzwischen geworden ist. Ein sachlich formulierter Beschwerdebrief an einen Minister führt nicht zu einer inhaltlichen Auseinandersetzung, sondern zu einem Einsatz der Kriminalpolizei. Dieses Vorgehen wirkt wie eine Form institutionalisierter Einschüchterung: Kritik am Staat soll nicht diskutiert, sondern durch die Drohkulisse polizeilicher Maßnahmen delegitimiert werden.

Aus Sicht von Free Speech Aid sind drei Punkte besonders problematisch:

  • Kriminalisierung legitimer Kritik: Dass symbolische Abbildungen wie „Raubritter“ oder „Wegelagerer“ als Hinweis auf Staatsfeindlichkeit gedeutet werden, offenbart eine gefährliche Überempfindlichkeit staatlicher Stellen.

  • Einschüchterungseffekt: Wer künftig Kritik an Ministerien oder Behörden äußert, muss befürchten, ins Visier der Kripo zu geraten – ein fatales Signal für demokratische Kultur.

  • Verschiebung des Meinungskorridors: Statt Vielfalt zu schützen, wird der Korridor enger. Bürger, die Missstände benennen, laufen Gefahr, in die Nähe extremistischer Milieus gerückt zu werden.

Wir sehen darin keinen Einzelfall, sondern ein Symptom eines größeren Problems: Der Staat greift zunehmend zu polizeilichen Mitteln, wo er eigentlich politische und öffentliche Debatten führen müsste. Free Speech Aid dokumentiert diesen Fall, weil er zeigt: Grundrechte verschwinden nicht nur durch große Gesetze – manchmal reicht schon der unangekündigte Besuch an der Haustür, um Bürger einzuschüchtern.